13 Irrtümer rund um die gesetzliche Rente

Gesetzliche Rente. Zu niedrig, zu teuer, ungerecht – kaum ein Thema erregt die Gemüter so wie die Rente. Wir räumen mit gängigen Irrtümern auf.

 

Wiedervereinigung, längere Lebenserwartung, niedrige Geburtenrate, Digitalisierung der Arbeitswelt – unser Rentensystem mit seinen 54 Millionen Versicherten muss sich ständig gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Und mit jeder Änderung gesellen sich neue Missverständnisse zu jenen, die sich seit Jahren halten. 

 

1. Die Rentenbeiträge sind immer weiter angestiegen. Nein. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung liegt derzeit bei 18,6 % vom rentenversicherungspflichtigen Einkommen. In den letzten 25 Jahren lag er fast immer höher – 1997 etwa bei 20,3 %.

 

2. Die gesetzliche Rente wird immer weiter sinken. Nein. Die individuellen Renten sinken nicht. Das ist durch die staatliche Rentengarantie sogar gesetzlich ausgeschlossen. Es kann zwar vorkommen, dass sie weniger stark steigen, als die Löhne es durchschnittlich tun. Sie können aber auch wie 2018 stärker steigen als diese. In den letzten fünf Jahren sind sie im Westen zwischen 1,67 und 4,25 % gestiegen und im Osten zwischen 2,5 und 5,95 %.

 

3. Die Ostdeutschen sind bei der Rente benachteiligt. Nein. Das Gegenteil ist richtig. Arbeitnehmer im Osten bekommen für die gleiche Einzahlung bisher mehr Rente als im Westen. Beispiel. Der Leipziger Michael Otte verdiente im Jahr 2018 insgesamt 37.873 € und zahlte zusammen mit seinem Arbeitgeber 7.044 € an Rentenbeiträgen. Nach derzeitigen Werten schreibt ihm die Rentenkasse dafür Rentenansprüche im Wert von 34,52 € im Monat auf seinem Rentenkonto gut. Der Kölner Gereon Keller verdient genauso viel und die gleiche Summe an Rentenbeiträgen fließt an die Rentenkasse. Ihm schreibt diese dafür aber nur Anwartschaften im Wert von aktuell 32,03 € gut. Viele Menschen haben dennoch den Eindruck, Arbeitnehmer in Ostdeutschland bekämen weniger Rente für ihre Beiträge als in Westdeutschland. Das liegt am Rentenwert, der im Osten niedriger ist. Er gibt an, wie hoch die monatliche Rente für einen Versicherten mit Durchschnittsverdienst in einem bestimmten Kalenderjahr ist. Er liegt derzeit bei 32,03 € im Westen und 30,69 € im Osten. Allerdings wertet die Rentenkasse die Ostrenten nachträglich auf, und zwar anhand eines bestimmten Umrechnungsfaktors. Der sorgt dann dafür, dass Ottes Anwartschaften höher ausfallen als Kellers. Konkret: 2018 lag der Umrechnungsfaktor bei 1,1248. Die Rentenkasse multipliziert Ottes Verdienst damit und tut so, als hätte er nicht 37.873 € verdient, sondern 42.600 €, und als seien 7.924 € statt 7.044 € an die Rentenkasse geflossen. Bis zum Jahr 2025 werden die Rentenwerte angeglichen und der Umrechnungsfaktor abgeschafft.

 

4. Nach mehr als 40 Jahren Arbeit müsste meine Rente doch viel höher ausfallen. Nicht unbedingt. Im deutschen Rentensystem kommt es nicht nur darauf an, wie viel jemand gearbeitet hat, sondern vor allem darauf, wie viel er verdient hat. Beispiel: Klaas Hinkel ist Hilfsarbeiter in Hamburg. Er hat immer die Hälfte des Durchschnittseinkommen verdient, 2019 entspricht das 19.451 € im Jahr. Nach 40 Jahren Arbeit geht er nun in Rente. Er bekommt 641 € im Monat von der Rentenkasse. Die Frankfurter  Softwareentwicklung Anna Rosinski hat nur 30 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt, also Jahre kürzer als Hinkel. Ihr Gehalt lag aber immer beim Doppelten eines Durchschnittsverdieners für 2019 heißt das 77.800 € im Jahr. Ihre gesetzliche Rente beträgt 1.922 € im Monat.

 

5. Ich gehöre zu den Top-Verdienern. Bei meinem Gehalt müsste die Rente doch viel höher ausfallen. Nein. Denn Arbeitnehmer mit sehr hohem Verdienst zahlen nicht auf ihr komplettes Einkommen Rentenbeiträge, sondern nur bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 80.400 € im Jahr. Für den Verdienst oberhalb dieser Grenze zahlen sie keine Beiträge und bekommen daraus später auch keine gesetzliche Rente. Beispiel. Claudia Nicholls ist Vertriebsingenieurin in Nürnberg. Sie verdient 37 Jahre lang das Doppelte des Durchschnittseinkommens. 2019 sind das rund 77.800 € . Ihre Rente beträgt nach derzeitigen Werten 2.370 € im Monat. Franz Schweigle, Manager eines Stuttgarter Autokonzerns, verdient in der gleichen Zeit mehr als sechsmal so viel – 500.000 € im Jahr. Seine gesetzliche Rente ist nach aktuellen Werten mit 2.449 € im Monat trotzdem nicht viel höher.

 

6. Wenn ich nicht fünf Jahre einzahlte, sind meine Beiträge verloren. Nein. Menschen, die ihr reguläres Rentenalter erreicht haben, aber insgesamt nur auf eine Versicherungszeit von unter fünf Jahren kommen, können sich ihre eingezahlten Beiträge erstatten lassen. In vielen Fällen kann es aber günstiger sein, die fehlenden Zeiten durch freiwillige Sonderzahlungen auszugleichen und sich so eine Rente zu sichern. Der Rentenberater hilft bei der Entscheidung.

 

7. Ob ich eine Ost- oder Westrente erhalte, hängt vom Wohnort ab. Nein. Ob ein Versicherter eine Ost-, West- oder eine Mischrente erhält, hängt von seinen jeweiligen Beschäftigungsorten ab. Hat er zunächst 20 Jahre in Düsseldorf gearbeitet, dann 20 Jahre in Dresden und verbringt seinen Ruhestand wieder im Rheinland, berechnet sich seine Rente je zur Hälfte nach West- und Ost-Werten. Das gilt auch für spätere Rentenerhöhungen. Auch die werden anteilig nach seinen Beschäftigungszeiten im Osten und Westen berechnet.

 

8. Die „Rente“ mit „63“ beginnt mit 63 Jahren. Das ist falsch. Das Renteneintrittsalter der „Rente für besonders langjährig Versicherte“ - so ihre offizielle Bezeichnung lag zwar bei 63 Jahren, als sie 2014 eingeführt wurde. Ihr Renteneintrittsalter steigt aber stufenweise auf 65 Jahre an. Wer heute 63 wird, kann sie erst mit 63 Jahren und 8 Monaten nutzen. Sie wurde eingeführt, um Langzeitversicherten mit mindestens 45 Versicherungsjahren einen früheren Rentenstart ohne Abschläge zu ermöglichen. Es gibt tatsächlich eine „Rente mit 63“. Die ist mit dieser Bezeichnung aber meist nicht gemeint. Es ist die „Rente für langjährig Versicherte“, die es Versicherten mit mindestens 35 Versicherungsjahren erlaubt, ihre Rente mit 63 Jahren zu beziehen. Dafür werden teils kräftige Abschläge fällig (siehe Punkt 9).

 

9. Abschläge fallen weg, sobald ich das reguläre Rentenalter erreiche. Nein. Wenn Rentenabschläge bei einem vorzeitigen Rentenbeginn fällig werden, bleiben sie dauerhaft. Jeder Monat, den versicherte vor ihrem regulärem Renteneintrittsalter in Altersrente gehen, kostet sie 0,3 % ihrer Rente. Zumindest immer dann, wenn sie nicht auf insgesamt mindestens 45 Versicherungsjahre kommen (siehe Punkt 8). Wer beispielsweise drei Jahre früher geht, muss mit Abschlagen von 10,8 % rechnen – für den Rest seines Lebens.

 

10.  Die gesetzliche Rente wird voll besteuert. Voll besteuert wird derzeit keine einzige gesetzliche Rente. Nur teilweise unterliegt sie der Steuerpflicht. Dafür sorgt der Rentenfreibetrag. Allerdings steigt ihr steuerpflichtiger Anteil jedes Jahr. Waren für alle, die 2005 oder früher ihre erste Rente bezogen haben, noch 50 % steuerfrei, sind es für Neurentner im Jahr 2019 nur noch 22 %. Das Finanzamt ermittelt für jeden Rentner persönlich in den Freibetrag. Der bleibt während des gesamten Ruhestands gleich. Das Finanzamt legt ihn endgültig zum Ende des zweiten Jahres im Ruhestand fest. Rentensteigerungen im ersten Jahr werden noch für den Steuerfreibetrag berücksichtigt. Alle späteren Steigerungen werden steuerpflichtig. Beispiel: Ina Gabler aus Regensburg ging 2017 in Rente. Der Steuerfreibetrag für den Rentenjahrgang 2017 liegt bei 26 %. Im Jahr 2018 hat sie insgesamt 13.790 € Rente bekommen. Auf dieser Basis berechnet das Finanzamt nun ihren konkreten Freibetrag: 26 % von 13.790 € sind 3.585,40 €. Dieser Betrag gilt von nun an für jedes künftige Steuerjahr. Zieht man ihn von ihrer Rente ab, bleiben 10.204,60 €. Hat sie keine weiteren Einkünfte, bleiben auch davon 9.000 € steuerfrei. Denn so hoch lag 2018 der Grundfreibetrag, auf den auch Rentner keine Steuern zahlen (2019 liegt er bei 9.168 €). Auch auf die übrigen 1.204 € muss Gabler keine Steuern zahlen, wenn sie in ihrer Steuererklärung für 2018 Posten angibt, die ihre Steuerlast drücken können wie Ausgaben für Kranken- und Pflegeversicherung, für
Zahnersatz  oder einem Kuraufenthalt, für die Hilfe beim Putzen oder im Garten, Spenden oder Kirchensteuern. Für alle, die 2040 oder später in Rente gehen, ist die gesetzliche Rente nach derzeitiger Gesetzeslage zu 100 % steuerpflichtig. Das heißt aber noch lange nicht, dass auf die komplette Rente auch Steuern anfallen.

 

11. Es gibt keine Altersteilzeit mehr. Das ist nicht richtig. Arbeitnehmer können weiterhin mit ihrem Arbeitgeber Altersteilzeit vereinbaren. Allerdings fördert die Bundesagentur für Arbeit nicht mehr die Aufstockung des Gehalts und der Rentenversicherungsbeiträge.

 

12. Die Aufteilung der Rente bei einer Scheidung ist endgültig. Nicht immer. Versicherte können die Aufteilung rückgängig machen, wenn der Expartner die Rente vor seinem Tod nicht länger als drei Jahre bezogen hat. Dafür müssen sie bei der Rentenkasse einen Antrag auf Rückübertragung der im Versorgungsausgleich geteilten Rentenansprüche stellen.

 

13. Selbstständige können sich nicht rentenversichern. Doch. Einige müssen das sogar tun, etwa selbstständige Lehrer und Künstler. Sie sind rentenversicherungspflichtig. Alle anderen können sich freiwillig gesetzlich rentenversichern und ihren Beitrag relativ frei wählen. Er muss im Jahr 2019 bei mindestens 83,70 € im Monat liegen und darf höchstens 1.246,20 € im Monat betragen. Im Koalitionsvertrag haben sich Union uns SPD sogar auf eine generelle Altersvorsorgepflicht für Selbstständige geeinigt. Details dazu stehen aber noch nicht fest.